Unsere Lektüretipps:

Heinrich Detering, Was heißt hier "wir"?

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Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten
Aus der Reihe: Was bedeutet das alles?
Reclam, 60 Seiten, 6,00 €

Rechtes Sprechen (& Denken) ist längst salonfähig geworden, unwidersprochen bleiben sollte es aber NICHT! Wie sehr diese Analyse von AfD-Zitaten durch den renommierten Literaturwissenschaftler Detering zutrifft können wir daran erkennen, welcher Dreck im Internet über ihm ausgekübelt wurde, nachdem er den zugrunde liegenden Vortrag gehalten und gekürzte Versionen in diversen Tageszeitungen erschienen waren (siehe Nachbemerkungen). Gut lesbar enttarnt er den blutigen Ernst dieser Sprache der Gewalt als „schlecht verkleidete(n) Jargon von Gangstern“ und zeigt, wie sich solche rhetorischen Strategien durchschauen und durchkreuzen lassen.
Ein kleines, feines Bändchen, kann man zu vielen Gelegenheiten gut verschenken kann!

Martin Seel, Nichtrechthabenwollen

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Gedankenspiele
S. Fischer Wissenschaft, 159 Seiten, 18,00 €

„Gedankenspiele sind die Form des Denkens, bei der es nicht um den Durchblick geht. Wie das geht und ob es überhaupt geht, davon handeln die Teile dieses Buchs. ´Handeln´ freilich ist übertrieben, aber mit Übertreibungen müssen Sie auf den folgenden Seiten ohnehin rechnen. Eine Handlung hat dieses Buch nicht: Es ist die Handlung, die in ein offenes Gelände des Denkens und Schreibens führt. (…) Aber wie immer, wenn weiter nichts geschieht, passiert allerlei, was so nicht zu erwarten war. (…) Hier wird ein Spiel gespielt, von dem nicht einmal sein Erfinder weiß, welchen Regeln es folgt.“ Aber ein höchst vergnügliches, kurzweiliges Spiel! Auf einem schmalen Grat zwischen Philosophie und Literatur, ein Feuerwerk von Gedanken und Bildern. Viel Vergnügen!

Attica Locke, Bluebird, Bluebird

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Kriminalroman
Aus dem Amerikanischen von Susanne Mende
Polar Verlag, 329 Seiten, 20,00 €

Osttexas, Sommer 2016. Als aus dem Attoyac Bayou innerhalb weniger Tage die Leichen eines schwarzen Anwalts und einer weißen Kellnerin gefischt werden ist es vorbei mit der Ruhe im Provinznest Lark, Shelby County. Darren Mathews, schwarzer Texas-Ranger, soll vor Ort die Wogen glätten und den lokalen Behörden bei der Aufklärung der Morde behilflich sein. Aber da könnte er auch Alligatoren mit bloßen Händen fangen wollen…
Die afro-amerikanische Autorin Attica Locke legt hier einen bemerkenswerten, bluesgesättigten Kriminalroman vor, in dem sich Gefühl und Härte wunderbar die Waage halten. Hintergründig und mit gutem Timing treibt sie die Geschichte mit so mancher Finte voran bis zum überraschenden Ende. Prädikat: besonders lesenswert!

Leonardo Padura, Die Durchlässigkeit der Zeit

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(Kriminal-)Roman
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag, 442 Seiten, 24 €

Havanna, Kuba, September 2014. Der 60. Geburtstag von Mario Conde steht bevor und neben seinen chronischen Geldsorgen plagen ihn auch die Zipperlein alternder Männer. Da bittet ihn ein alter Freund um Hilfe. Ihm wurde ein altes Familienerbstück gestohlen: eine schwarze Madonna. Und da die Bezahlung gut ist macht sich unser Detektiv wider Willen auf die Suche und fällt unter gerissene Kunsthändler und skrupellose Gauner. Neben dieser süffig-rasanten Krimihandlung, in der sich natürlich auch die Lebenswirklichkeit des heutigen Kuba widerspiegelt, erzählt uns Padura in parallel montierten Kapiteln die Herkunftsgeschichte dieser Madonnenfigur, die bis ins mittelalterliche Spanien reicht. Und auch diese Geschichte hat es in sich…
Ein sehr unterhaltsames Lesevergnügen!

Patrick deWitt, Die Sisters Brothers

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Aus dem Englischen vom Marcus Ingendaay
Goldmann TB, 352 Seiten, 9,99 €

Dieses Buch ist, ähnlich wie seine Protagonisten, unberechenbar. Die Brüder Charlie und Eli Sisters machen sich im Jahr 1851 im Auftrag des Kommodore  von Oregon auf den Weg nach Kalifornien. Dort tobt der Goldrausch, doch sie haben ein festes Ziel vor Augen: Hermann Kermit Warm. Den sollen sie finden und töten. Erzählt wird uns die Geschichte dieser bizarren und blutigen Reise von Eli, der im Gegensatz zu seinem eiskalten, skrupellosen Bruder eher ein Grübler ist. Aber existentielle Fragen zu erörtern ist in diesem Job nicht von Vorteil. Als die beiden schließlich in Kalifornien eintreffen, nehmen die Ereignisse erneut eine höchst unerwartete Wendung…
Höchst unterhaltsames und amüsantes Kopfkino - Filmstart im März in guten Lichtspielhäusern.

Frank Westerman, Das Tal des Todes

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Eine Katastrophe und ihre Erfindung
Aus den Niederländischen von Verena Kiefer und Thomas Hauth
Ch. Links Verlag, 328 Seiten, 22 €

In einer Mischung aus Reisebericht, Wissenschaftsgeschichte und ethnologischer und kulturgeschichtlicher Studie recherchiert Frank Westerman eine der rätselhaftesten Naturkatastrophen des 20. Jahrhunderts. Am 21. August 1986 sterben im Tal von Nyos im Nordwesten Kameruns über 1700 Menschen, Vögel fallen tot von den Bäumen, ganze Viehherden und zahlreiche Wildtiere verenden. Was hat diese Tragödie ausgelöst? Nachdem er bereits 1992 ein Radiofeature über das Thema gemacht hat begibt sich Westerman nun erneut auf die Spurensuche, wobei ihn vor allem auch der Komplex der Mythenbildung interessiert. Ihm gelingt eine faszinierende und hochspannende Erkundungsreise.

Jörg Kronauer, Meinst du, die Russen wollen Krieg?

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Russland, der Westen und der zweite Kalte Krieg
Papyrossa, 207 Seiten, 14,90 €

Ein interessantes, aufklärerisches Buch. Jörg Kronauer, freier Journalist und Redakteur des Nachrichtenportals german-foreign-policy.com, untersucht in seinem neuen Buch das Verhältnis des Westens zu Russland. Dabei setzt er vier Schwerpunkte: Die deutsche Russlandpolitik (mit ihren Wurzeln im 19. Jh.), die amerikanische Russlandpolitik (seit Anfang des 20. Jh.), die russische Westpolitik und schließlich die Entwicklung seit den 90er Jahren bis in die Gegenwart. Seine hintergründigen Recherchen liefern ausreichend Material, die offiziellen Verlautbarungen deutscher Außenpolitik, z.B. zum Thema Krim, zumindest in Frage zu stellen.

Sebastian Barry, Tage ohne Ende

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Roman
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Steidl Verlag, 256 Seiten 22,00 €

Wild, düster, romantisch – mit Tage ohne Ende ist Sebastian Barry wirklich ein großartiger Frontier-Roman gelungen und auch die geniale Übersetzung von Hans-Christian Oeser kann nicht genug gelobt werden. Dieser so noch nie gelesene, schnoddrige Ton, in dem Thomas McNulty sein Leben erzählt. Angefangen mit der Flucht vor der Irish potato famine, seiner Karriere als Tanzmädchen in einem Saloon für Bergarbeiter und nicht endend mit den Abenteuern, die er nach seinem Eintritt in die U.S.-Armee erlebte. Aber auch das Grauen der Feldzüge gegen die Indianer und des amerikanischen Bürgerkriegs, und immer an seiner Seite sein Gefährte John Cole. Ein unerhörtes und (entbehrungs-) reiches Leben im „Wilden Westen“, erzählt mit großer Souveränität.

Tom Franklin, Krumme Type, krumme Type

Kategorie: Empfehlungen

Roman
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
Pulp Master, 402 Seiten, 15,80 €

Chabot, Mississippi. Als die 19jährige Tina Rutherford vermisst wird fällt der Verdacht sofort auf Larry Ott, denn er war irgendwie verwickelt in das Verschwinden von Cindy Walker vor 25 Jahren. Nie verurteilt fristet er sein Leben seitdem als gemiedener Eigenbrötler. Als er angeschossen wird betraut man Constable Silas Jones, den mit Larry und seiner Vergangenheit ein dunkles Ereignis verbindet, mit den lästigen Ermittlungen. Dabei brechen alte Wunden auf und Jones stößt auf ein wahres Schlangennest aus Verrat und Intrigen.

Klassisch schnörkellos und atmosphärisch dicht erzählt steht dieser 49. Roman exemplarisch für den Pulp Master Verlag, der das Herz von Fans von Pulp-, Noir-, oder Hard-boiled-Romanen höher schlagen läss!

"Pulp Master ist definitiv das härteste und schönste und unverbrüchlichste Label der Zunft." Tobias Gohlis/ Krimitagebuch
Und das mit den schönsten und unverwechselbarsten Covern, möchte ich hinzufügen...


Khaled Khalifa, Der Tod ist ein mühseliges Geschäft

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Roman
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
Rowohlt, 219 Seiten, 20 €

Die Geschwister Bulbul, Hussain und Fatima haben sich über die Jahre auseinandergelebt. Man weiß nicht viel vom Leben des anderen. Trotzdem möchten sie ihrem verstobenen Vater seinen letzten Wunsch erfüllen und ihn in seinem Heimatdorf beerdigen. In Friedenszeiten wären die 300 km von Damaskus nach Anabija, nördlich von Aleppo, an einem Tag zu bewältigen gewesen. Aber im heutigen Syrien wird die Fahrt zu einer Reise mit kaum zu überwindenden Hindernissen. Khalifa, der in Damaskus lebt, erzählt von Menschlichkeit und alltäglichen Dramen, von Haltung in haltlosen Zeiten, Tradition und Korruption. Ein eindringlicher Einblick in den syrischen Alltag.

Dietmar Dath, Karl Marx

Kategorie: Empfehlungen

Reclam Verlag, 100 Seiten, 10,00 €

Wie „(k)ann jemand, der Aufstände begrüßt, eine Diktatur fordert, Philister erschreckt und sich nicht scheut, die seit Urzeiten bestehende gesellschaftliche Wirklichkeit als „die ganze alte Scheiße“ zu beschimpfen, eine Wissenschaft begründen, sei es nun die des Sozialismus oder sonst eine?“ In diesem neuen, sehr lesenswerten Band der Reihe Reclam 100 Seiten findet der Journalist und Autor Dietmar Dath kluge Antworten auf diese Frage. Er liefert eine brillante Einführung in das Marxsche Denken als Philosoph seiner Zeit und begründet seine anhaltende Aktualität. Ein schwungvoller Ausflug in die Welt der Philosophie, der das eigene Weltverständnis durchaus ins Wanken bringen kann!

Ian McGuire, Nordwasser

Kategorie: Empfehlungen

Roman

Aus dem Englischen von Joachim Körber

Mare Verlag, 304 Seiten, 22,00 €

Ein Roman von existentieller, biblischer Wucht - Herman Melville trifft hier auf Cormac McCarthy. Als der Walfänger Volunteer im April 1859 Richtung Nordpolarmeer ausläuft ist die große Zeit des Walfangs längst vorüber und Reeder Baxter will durch einen Versicherungsbetrug noch einmal gutes Geld machen. Teil der zusammengewürfelten Mannschaft sind auch der instinktgesteuerte Harpunier Henry Drax und der unehrenhaft entlassen Militärarzt Patrick Sumner. Ein ungeheuerliches Verbrechen an Bord lässt die Situation dramatisch eskalieren, die Ereignisse überschlagen sich… Am Ende bleiben Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung und die schreckliche Dunkelheit der arktischen Nacht. Oder könnte Hunger und Schmerz doch ein Funke Hoffnung innewohnen?

Roland Spranger, Tiefenscharf

Kategorie: Empfehlungen

Kriminalroman

Polar Verlag, 286 Seiten, 18,00 €

„Das Leben ist nicht immer fair zu einem. Vor allem, wenn die falschen Entscheidungen getroffen werden.“ Ganz schön hard-boiled für einen deutschsprachigen Kriminalroman und sicher nichts für schwache Nerven. Friedrich-Glauser-Preisträger Roland Spranger zaubert uns ein spannendes, atmosphärisch dichtes Lesefutter aus der „wahren“ Welt. Ein misslungener Methamphetamin-Schmuggel an der deutsch-tschechischen Grenze, ein toter „Penner“ und ein investigativer Videojournalist bilden den brisanten Auftakt zu diesem rasanten Buch. Tiefenscharf lotet Abgründe aus und ist sicher das Gegenteil von einem Wohlfühlkrimi.

Der Polar-Verlag hat übrigens noch weitere starke Titel im Programm und ist eine echte Entdeckung für Krimi-Fans!

Navid Kermani, Entlang der Gräben

Kategorie: Empfehlungen

Eine Reise durch das östliche Europa bis nach Isfahan

C.H.Beck, 442 Seiten, 24,95 €

Es ist immer wieder faszinierend mit Navid Kermani durch die Welt zu reisen. Denn er ist ein großartiger Erzähler und unermüdlicher Reporter, bringt uns Länder und Menschen so nah, wie es ein Buch eben kann. In der Tradition der großen Reisereportagen folgen wir ihm von Köln durch den „nahen“ Osten (Litauen, Polen, Weisrussland, Ukraine) über den Kaukasus bis in die Heimat seiner Eltern, nach Isfahan (Iran). Die Geschichten, die er unterwegs sammelt, und die Geschichte, in deren Kontext er sie bettet, das ist Aufklärung im besten Sinne des Wortes. Wer die Welt ein wenig besser verstehen möchte, der sollte sie mit Navid Kermani bereisen.

Ein Lob auch an den Verlag, der den Verlauf der Reiseroute schön und übersichtlich auf dem Vorsatz abgebildet hat.

Alexander Peschmann, Sieben Lichter

Kategorie: Empfehlungen

Roman, Steidl Verlag, 166 Seiten, 18,00 €

Zugrunde liegt dieser klassischen Seefahrernovelle ein rätselhafter Kriminalfall aus dem Jahr 1828. Im Juni erreicht eine Brigg die irische Hafenstadt Cove – an Bord sieben gefesselte und erschlagene Männer. Die Aussagen der Überlebenden sind widersprüchlich, der Fall bleibt rätselhaft. Ich-Erzähler Fitzgerald und sein Schwager Scoresby greifen den offiziellen Ermittlungen vor, stellen eigene Erkundungen an und versuchen, die Psyche des Mörders zu ergründen. Wahnsinn oder Verzweiflung?

Dem Anglisten Alexander Pechmann gelingt hier ein an seiner Übersetzertätigkeit (u.a. Melville und Shelley) geschultes literarisches Kleinod, seine Sprache lässt echte Charaktere entstehen und schafft Spannung und Dynamik durch kurze, pointierte Sätze. Und man schmeckt das Meer…

Geoffrey Household, Einzelgänger, männlich

Kategorie: Empfehlungen

Aus dem Englischen von Michel Bodmer

Kein & Aber, 365 Seiten, 12,00 €

„Simply the best escape and pursuit story yet written“, urteilte The Times, als das Buch 1939 erschien. Und auch heute sicher noch eine der besten Flucht- & Verfolgungsstorys ever. Ein passionierter Hobbyjäger auf der Pirsch. Ist es wirklich nur reiner Sportgeist, wie er uns später erzählt, der ihn an sein Ziel heranführt? Einen namenlosen, „großen“ Mann auf einem streng bewachten Anwesen, der seinerzeit in Europa für Furore sorgt. Doch unser Jäger wird erwischt, brutal verhört, kann jedoch entkommen. Eine atemlose Jagd, die in einem kammerspielartigen Finale endet, beginnt. Household gelingt ein literarischer, psychologisch raffinierter Spannungsroman, der Vergleiche mit den Werken seines Zeitgenossen Graham Greene in keiner Weise zu scheuen braucht.

Gael Faye, Kleines Land

Kategorie: Empfehlungen

Roman

Aus dem Französischen von Brigitte Große und Andrea Altmann

Piper, 223 Seiten, 20,00 €

Burundi ist ein kleines Land im Herzen Afrikas. In seinem beeindruckenden Debütroman erzählt Gael Faye die Geschichte von Gaby, einem 11jährigen Jungen, der Anfang der 90er Jahre in Bujumbura, der Hauptstadt, aufwächst. Er ist Sohn einer Ruanderin und eines Franzosen, seine Kindheit ist unbeschwert und privilegiert. Glückliche Tage, in denen er mit seinen Freunden durch das Viertel streift, Mangos klaut und Bananenstaudenboote baut. Aber die ethnischen Spannungen zwischen Hutu und Tutsi nehmen zu, bis die Situation im Nachbarland Ruanda aufs Grausamste eskaliert… Eine betörende, poetische Rückkehr in die vergessene Welt einer Kindheit und über deren unwiederbringlichen Verlust.

Denis Johnson, Die lachenden Ungeheuer

Kategorie: Empfehlungen

Roman

Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell

Rowohlt, 226 Seiten, 22,95 €

Denis Johnson, der leider im Mai verstorbene US-amerikanische Autor, erzählt eine hintergründige Spionagegeschichte aus Westafrika und wir reisen mit ihm in ein neues Herz der Finsternis. Eine Nachricht seines Freundes Michael Adriko lässt Roland Nair nach Freetown, Sierra Leone, zurückkehren. Vor 10 Jahren haben die beiden Glücksritter hier gute Geschäfte gemacht und Adriko scheint wieder einen großen Deal zu planen. Oder hat er Nair wirklich nur als Trauzeugen für seine Hochzeit mit Davidia St. Claire eingeladen? Alle drei haben ihre Geheimnisse, spielen nicht mit offenen Karten, und ihre Reise durch ein von der Zukunft anscheinend aufgegebenes Land zu Adrikos Familie ins kongolesisch-ugandische Grenzgebiet kommen sie einander näher und die Dinge erscheinen plötzlich in einem anderen, neuen Licht. Oder besser: in einer neuen Dunkelheit.

Tim Marshall, Die Macht der Geographie

Kategorie: Empfehlungen

Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt

Aus dem Englischen von Birgit Brandau

dtv, 318 Seiten, 12,90 €

Unser geografisches Wissen schwindet, uns geht der Überblick im Klein-Klein der täglichen Nachrichtenflut verloren. Marshalls Buch kann da Abhilfe schaffen. Wir reisen mit ihm durch die Welt und er erklärt, warum wir prisoners of geography, so der (eigentlich bessere) Originaltitel, sind. Er skizziert in klaren Worten wesentliche (kultur-) historische Hintergründe und zeigt, welchen Einfluss die geographische Lage auf aktuelle politische Entwicklungen und Konflikte haben kann. So werden komplexe geopolitische Zusammenhänge erkennbar. Aktuell ist besonders das Kapitel über Korea und Japan interessant. Leider lässt das vorhandene Kartenmaterial zu wünschen übrig und der Tonfall manchmal etwas flapsig. Schade bei diesem interessanten Thema.

Patrick Deville, Pest & Cholera

Kategorie: Empfehlungen

Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller

Unionsverlag, 234 Seiten, 12,95 €

Der Roman eines abenteuerlichen, leidenschaftlichen Lebens vor dem Hintergrund einer bewegten Epoche. Alexandre Émile Jean Yersin, geboren 1863, tritt bereits als Kind in die Fußstapfen seines früh verstorbenen Vaters, eines begeisterten autodidaktischen Botanikers und Insektenkundlers. Berühmt wird der vom naturwissenschaftlichen Forschergeist in die Welt Getriebene durch die Entdeckung des Pesterregers, ihm zu Ehren Yersinia pestis gennant.

Deville, Schriftsteller und Weltreisender, erzählt spannend und detailreich. Es gelingt ihm, das Leben dieses außergewöhnlichen Mannes mit großer Fabulierlust in bewegenden Geschichten einzufangen und lebendig werden zu lassen. Große Literatur und ein wunderbarer, durchaus anspruchsvoller Schmöker.

Hari Kunzru, White Tears

Kategorie: Empfehlungen

Roman

Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner

Liebeskind Verlag, 349 Seiten, 22,00 €

Ein Roman wie ein jazziges Blues-Album & ein guter Schluck Whisky. Carter und Seth sind Aus-der-Welt-Gefallene, der eine ein superreicher, exzentrischer Hipster, der andere ein Vorstadtniemand. Was sie verbindet ist ihre Liebe zur Musik. Ihre Remixe und Samplings sind in der New Yorker Musikszene sehr gefragt. Aus einem alten Bluessongfragment komponieren sie einen neuen Song, erfinden den Interpreten Charlie Shaw und stellen den Song ins Netz. Die Reaktionen sind phänomenal, das Lied eine Sensation. Doch dann meldet sich jemand und behauptet, Charlie Shaw gekannt zu haben - und er will die Platte um jeden Preis haben. Carter und Seth lassen sich auf ein unbekanntes Spiel mit gefährlichem Ausgang ein…

Patrick McGinley, Bogmail

Kategorie: Empfehlungen

Roman mit Mörder

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser Steidl, 336 Seiten, 24,00 €

In der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg 19,95 €

Glenkeel, ein idyllisches Örtchen an der irischen Westküste. „Eales muss vernichtet werden“, ist Pubbesitzer Roarty überzeugt, denn sein Barmann hat seine Lustfinger nach Töchterchen Cecily ausgestreckt. Der Versuch mit dem Pilzomelett schlägt fehl, also muss ein neuer Plan her. Doch kaum ist die Leiche im Moor entsorgt fangen die Probleme erst an…

Bogmail ist ein moderner Klassiker der irischen (Kriminal-) Literatur, ein satirischer Blick auf den schrägen Mikrokosmos der irischen Provinz, psychologischer Spannungsroman und dörfliche Komödie mit einer guten Prise schwarzen Humors und herrlich ausufernden Thekengesprächen. Und auch Band 25 der Encyclopedia Britannica von 1911 spielt eine gewichtige Rolle.


David van Reybrouck, Zink

Kategorie: Empfehlungen

Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert

Suhrkamp Verlag, 86 Seiten, 10,00 €

Nach seiner hochgelobten, monumentalen Studie Kongo entfaltet der Autor in diesem schmalen Bändchen ein europäisches Panorama zum Anfassen. Neutral-Moresnet, eine Mikronation, entstanden aus Grenzstreitigkeiten zwischen den Niederlanden und Preußen 1816, existierte gut 100 Jahre und spiegelt ein Stück Geschichte unserer (Grenz-) Region zwischen Krieg(en) und Völkerverständigung. Geschichte zum Anfassen, fast vor der Haustüre, die am Schicksal Emil Rixens, Sohn eines Rheyter Dienstmädchens, auf bewegende Weise erles- und erlebbar wird. Ein leider kurzes, inhaltsreiches Lektüreglück, das lange nachhallt. Und das seltene Galmei-Veilchen lädt jetzt (Blütezeit Mai bis August) ja geradezu ein zu einem Ausflug in diese historische Region um Kelmis.

Michael Lüders, Die den Sturm ernten

Kategorie: Empfehlungen

Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte

C.H. Beck, 174 Seiten, 14,95 €

Schon in seinem vor 2 Jahren erschienen Buch Wer den Wind sät – was westliche Politik im Orient anrichtet beschrieb der langjährige Nahost-Korrespondent der ZEIT sehr detailliert und hintergründig die westliche Interventionspolitik im Nahen und Mittleren Osten seit der Kolonialzeit und erklärte, was sie mit der aktuellen politischen Situation zu tun hat. Im neuen Buch legt er nun den Schwerpunkt auf den Krieg in Syrien und vieles von dem, was er im Verlauf seiner Recherche erfahren musste hätte er „am liebsten gar nicht erst gewusst – weil auf einmal vermeintliche Gewissheiten oder längst verinnerlichte Überzeugungen auf dem Prüfstand stehen", so Lüders in seinem sehr klugen Ausblick am Ende des Buches. Auch deswegen sicherlich mit das Beste, was zum Thema zu lesen ist.

Xavier-Marie Bonnot, Die Melodie der Geister

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Ein Fall für Michel de Palma

Unionsverlag, 361 Seiten, 12,95 €

Aus dem Französischen von Gerhard Meier

Ein Leckerbissen für Liebhaber des guten Kriminalromans! Dr. Delorme, angesehener Neurologe und Sammler Primitiver Kunst, wurde ermordet, auf seinem Schreibtisch liegt aufgeschlagen Freuds Werk Totem und Tabu. Die Spuren führen einerseits in die Unterwelt von Marseille, andererseits scheint es eine Verbindung zu einer Expedition zu geben, die Delorme 60 Jahre zuvor nach Papua-Neuguinea unternommen hat. Was hat es mit der Maske aus sich, die dem Toten auf das Gesicht gesetzt wurde? Und warum fehlt ein wertvoller Schädel? De Palma ermittelt mit seinen Kollegen mal subtil, mal rasant… Bonnot versteht sein Handwerk und verwebt die Erzählstränge kunstvoll und spannend, gleichzeitig gelingt ihm ein wunderbarer Roman über Marseille und Frankreichs späte Kolonialzeit.